Open Gender Journal (2020) | Rubrik: querelles-net: Rezensionen

Ambivalente Geschlechterdynamiken an der unternehmerischen Universität

Rezension von Lena Fischer und Sarah Schank


Rezensionen zu Sabine Hark, Johanna Hofbauer (Hg.)
Vermessene Räume, gespannte Beziehungen.
Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken.
Berlin: Suhrkamp 2018.
388 Seiten, ISBN 978-3-518-29844-2, € 22,00


Abstract

Die neuen marktwirtschaftlich orientierten Steuerungsformen, die sich im Zuge der Hochschulreform etabliert haben, und die Rahmenbedingungen dieser Entwicklungen stehen im Fokus des vorliegenden Sammelbandes. Im Zuge der Managerialisierung der Universität rücken Vergleichbarkeit durch Kennzahlen und indikatorengestützte Wettbewerbslogiken in den Vordergrund. In den Beiträgen werden die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf Arbeitsbedingungen und Wissenschaftssubjekte, auf Gleichstellungspolitiken und schließlich auf den akademisch gewordenen Feminismus selbst beleuchtet. Dabei haben vermessende Verfahren einerseits das Potential, durch deren Aneignung Subjekte zu empowern, andererseits verschärfen sie den Wettbewerbsdruck.

Schlagworte: Gleichstellungspolitik, Hochschule, Prekarisierung, Verwaltung, Wissenschaft

Zitationsvorschlag: Fischer, Lena/Schank, Sarah (2020): Ambivalente Geschlechterdynamiken an der unternehmerischen Universität. Rezension zu: Sabine Hark, Johanna Hofbauer (Hg.) (2018): Vermessene Räume, gespannte Beziehungen. Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. In: Open Gender Journal (2020). doi: 10.17169/ogj.2020.150.

Copyright: Lena Fischer und Sarah Schank. Dieser Artikel ist lizensiert unter den Bedingungen der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

DOI: https://doi.org/10.17169/ogj.2020.150

Veröffentlicht am: 08.10.2020

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Der Wandel hin zu unternehmerischen Organisationen bringt weitreichende Veränderungen für das Lernen und Arbeiten an Universitäten mit sich: Vermessende Verfahren wie zum Beispiel Evaluationen, Qualitätsmanagement und Exzellenzinitiativen, die im Zuge der Managerialisierung von Hochschulen immer stärkere Bedeutung erhalten, stellen akademische Subjekte vor Herausforderungen, eröffnen aber auch Chancen. Die Anrufung als unternehmerisches Selbst hat weitreichende Konsequenzen. Vermessungs- und Bewertungsprozesse sorgen für eine stärkere Individualisierung, das Arbeiten im Wissenschaftssystem wird neu strukturiert. Im vorliegenden Sammelband werden ambivalente Anforderungen und Handlungsräume in den Blick genommen: Arbeitsbedingungen, Wissenschaftssubjekte, Gleichstellungspolitiken und akademischer Feminismus werden innerhalb der vermessenen Räume und gespannten Beziehungen der unternehmerischen Universität analysiert. Sabine Hark und Johanna Hofbauer haben dreizehn Beiträge zusammengestellt, die zu großen Teilen im Kontext des D-A-CH-Forschungsverbundes „Entrepreneurial University und GenderChange: Arbeit – Organisation – Wissen“ entstanden waren.

Im ersten Teil des Bands, „Vermessung und Demarkationen legitimen Wissens: Gender Studies und feministische Kritik“, werden verschiedene Herausforderungen für feministische Kritik im Umfeld der unternehmerischen Universität thematisiert. Die Aufsätze widmen sich der Rolle des akademischen Feminismus und der Gender Studies an neoliberalen Hochschulen.

In „Leistungsmaßstäbe – Gleichstellung: Verhandlung von Zugangschancen in vermessenen Räumen“ werden Spannungen metrischer Verfahren und die Umgangsweisen von Wissenschaftler*innen mit den Anforderungen quantitativer Leistungsmessung sowie den vermessenden Verfahren inhärente Geschlechtervorstellungen in den Blick genommen.

In den beiden Beiträgen des dritten Teils, „Gleichstellung und Diversity Management unter der Bedingung von Vermessung und Evaluierung“, liegt der Fokus auf Qualitätssicherung und Evaluierung und den damit verbundenen Chancen und Risiken. Quantifizierung und Dokumentation können institutionalisierte Gleichstellungspolitiken unterstützen, jedoch auch als Feigenblatt dienen.

Im vierten Teil, „Un-Vermessen und ausgeblendet: Sorgearbeit und Selbstsorge“, handeln zwei Texte vom Phänomen des Ausblendens von Sorgearbeit in der Wissenschaft und von den Folgen, die daraus resultieren. Die Herausgeber*innen diskutieren in einem abschließenden Beitrag progressive und regressive Elemente und widersprüchliche Verwerfungen.

Vermessende Verfahren

In allen Beiträgen des Buches werden verschiedene Sichtweisen auf den Aspekt der Vermessung an der unternehmerischen Universität verhandelt. Dabei wird mit einem Fokus auf Geschlechterdynamiken die Logik der Zahlen und deren Auswirkungen auf akademische Subjekte aufgezeigt. Die Autor*innen thematisieren, inwiefern Kennziffern das neue Wissenschaftssystem bestimmen. So können einerseits metrische Verfahren dazu beitragen, Differenzen sichtbarer zu machen, indem sie ungleich verteilte Ressourcen und Zugänge offenlegen. Diese können dann für die Legitimation von feministischer Kritik und Gleichstellungspolitiken genutzt werden. Andererseits müssen metrische Verfahren und deren unternehmerischer Kontext weiterhin Gegenstand feministischer Kritik bleiben.

Julia Nentwich und Ursula Offenberger bringen diese Spannung in ihrem Aufsatz „Kennzahlen als verräterische Verbündete“ treffend auf den Punkt: „Im Bewusstsein dieser konstitutiven Ambivalenz sollte Gleichstellungsarbeit weder die neuen Steuerungsformen scheuen wie der Teufel das Weihwasser noch die Frage ignorieren, ob sie mit der Wahl ihrer Mittel dann nicht doch den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben versucht.“ (S. 308) Die Autor*innen analysieren Kennzahlen im Kontext von Gleichstellungsgovernance anhand zweier Fallbeispiele. Sie zeigen die Rolle der Quantifizierung für die Organisationswerdung von Hochschulen auf und die Chancen, die damit für Gleichstellung einhergehen.

Mit der Vermessung von Gleichstellungspolitiken geht die steigende Anforderung an deren Dokumentation einher. In Sara Ahmeds Beitrag „Gleichstellung und Performance-Kultur“ werden die Folgen der zunehmend geforderten Dokumentationspflichten in der Gleichstellungspolitik kritisch beleuchtet. Die Interviews mit Gleichstellungsakteur*innen vermitteln zudem sehr aufschlussreiche Einblicke in die Praxis. Hierbei wird die Problematik aufgezeigt, dass die Darstellung gleichstellungspolitischer Maßnahmen in der Praxis der Universität häufig eine größere Bedeutung hat als die tatsächliche Umsetzung. So könne institutionalisierte Gleichstellung das Gegenteil dessen bewirken, was sie vorgeblich tue. Denn Dokumentation allein bringe noch keine Veränderung; Gleichstellungsanliegen müssten auch umgesetzt werden.

In verschiedenen Beiträgen des Buches wird darüber hinaus untersucht, inwiefern die Aneignung metrischer Verfahren auch auf individueller Ebene Vorteile und Nachteile für Frauen in der Wissenschaft bringen kann. Ilse Costas und Stephanie Michalczyk beschäftigen sich in ihrem Aufsatz „Wissenschaftliche Subjekte im Spannungsfeld von Performanz und Wettbewerb“ beispielsweise mit vergeschlechtlichten Subjektivierungsprozessen von Wissenschaftler*innen. Sie untersuchen, wie die Anrufung des wissenschaftlichen Subjekts als männlich konnotierter Homo oeconomicus die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler*innen ab der Postdoc-Phase beeinflussen.

Quantitative Vergleichbarkeit

Im zweiten Teil des Buches, aus dem auch der Beitrag von Costas und Michalczyk stammt, wird thematisiert, inwiefern Leistungsbeurteilungen, wie zum Beispiel Evaluationen und Publikationszahlen, eine quantitative Vergleichbarkeit ermöglichen und dabei gleichzeitig den Wettbewerb verschärfen und Druck aufbauen. Es sei von zentraler Bedeutung, wie mit den Kennzahlen umgegangen werde. Darüber hinaus wird hier deutlich, dass auch die Entstehungsprozesse und -kontexte dieser Zahlen relevant sind und berücksichtigt werden müssen. Insbesondere die Analyse und kritische Einordnung der Konsequenzen metrischer Verfahren für Wissenschaftler*innen hat unseren Blick für Chancengleichheit an der Universität geschärft.

Im vierten Teil des Buches wird am Beispiel von Sorgearbeit gezeigt, dass bei der Reduktion auf Zahlen bestimmte Aspekte nicht erfasst werden und dass Quantifizieren auch stets Selektieren bedeutet. Dies beschreiben Kendra Briken, Birgit Blättel-Mink, Alexandra Rau und Tilla Siegel: „Sorgearbeit, die eine aktive, qualitative Dimension bezeichnet, verschwindet in stati(sti)schen Messgrößen, in Ergebnissen von Evaluationen, in einer zeitlichen Vorgabe für die Betreuung von Haus- und Abschlussarbeiten“ (S. 327).

Veränderte Subjektivierung

Im Kontext der neoliberalen Hochschulgouvernance verändern sich die Arbeit im Feld und die damit verbundenen Subjektivierungsweisen. Die Logiken von Bildung als Ware und von der Universität als Raum für die Akkumulation von Humankapital fordern vom akademischen Individuum eine Ausrichtung am unternehmerischen Selbst. Katharina Kreissl, Johanna Hofbauer, Birgit Sauer und Angelika Striedinger gehen in ihrem Beitrag „Subjektivierungen in vermessenen Räumen“ der Frage nach, wie sich Subjektivierungsprozesse von Wissenschaftler*innen anhand vermessender Verfahren vollziehen und welche vergeschlechtlichten Aspekte darin enthalten sind. Sie beschreiben die akademische Subjektivierungsfigur des Homo oeconomicus, die auch im Beitrag von Ilse Costas und Stephanie Michalczyk wiederkehrt, pointiert: Ihm müsse „die Orientierung an Wettbewerb, Leistung, Erfolg und Effizienz nunmehr selbstverständlich werden“ (S. 191).

Bettina Heinz vollzieht in ihrem Text eine analytische Differenzierung zwischen den beiden Systemlogiken Wissenschaft und Universität als Organisation, in denen sich Akademiker*innen bewegen. Diese brächten jeweils unterschiedliche Anforderungen mit sich, und ihnen sei jeweils ein spezifischer gender bias inhärent. Während im Wissenschaftssystem Frauen oft am „Mathilda-Effekt“ (S. 161) scheiterten, also bei gleicher wissenschaftlicher Leistung geringere Anerkennung erführen als Männer, könne es dank der Regierungstechniken der neoliberalen Hochschule in jüngster Zeit in Berufungsverfahren einen Vorteil darstellen, eine Frau zu sein.

Sorgende Subjekte

Prekarität kennzeichnet die Arbeitsbedingungen des akademischen Lebens, Kurzzeitverträge sind an der Tagesordnung, während gleichzeitig Betreuungs- und Benotungsverpflichtungen anfallen, die nicht vergütet werden. Darauf geht insbesondere Rosalind Gill in ihrem Beitrag über die Bedingungen an britischen Hochschulen ein. Dabei wird deutlich, dass Erfahrungen von Überforderung, Frustration und Verletzung der persönlichen Würde alltäglich, aber stark tabuisiert sind. Legitimiert werde diese widersprüchliche Situation durch die Vorstellung von „Arbeit als Hoffnung“ (S. 357) – es gehe also darum, durch mehr Leistung irgendwann an eine unbefristete Stelle zu gelangen. Diese Hoffnung sei stets mit einem hohen Risiko des Scheiterns verbunden, und Unsicherheit werde dabei zum Erfolgsfaktor, da sie zu höherer Leistung anstacheln solle.

Die Produzent*innen akademischen Wissens müssen ihre Arbeitsprozesse selbst stets in messbare Größen übertragen und damit sichtbar machen. Forschung, Lehre und Verwaltung werden dabei als getrennte Größen erfasst und komplexe, fluide Zusammenhänge in Kleinteile zerlegt. Lehrleistungen und deren Evaluation müssen im Bewerbungsverfahren formal nachgewiesen werden, spielen aber im Vergleich zu Drittmitteln und Veröffentlichungen eine marginale Rolle, wie in verschiedenen Beiträgen aufgezeigt wird. Kendra Briken, Birgit Blättel-Mink, Alexandra Rau und Tilla Siegel beschreiben in ihrem Aufsatz „Sei ohne Sorge“, wie diese Vermessungs- und Bewertungsprozesse auch die Beziehung von Lehrenden und Studierenden verändern. Es werde eine Konkurrenzsituation zwischen Lehrenden geschaffen, die eine Kund*innenlogik fördere, in der Lehre zur Serviceleistung werde. Im Sinne eines Edutainment setzten Lehrende stärker auf die Form als auf den Inhalt. Studierenden würden neue Formen der Teilhabe angeboten, diese sei aber keine emanzipatorische, sondern vielmehr eine Teilnahme am Konsum.

Die mit der Subjektivierung als unternehmerisches Selbst einhergehende Individualisierung führe auch zu einer Individualisierung von Selbstfürsorge. Die Autor*innen des Beitrags definieren Reproduktionsarbeit als integralen Bestandteil von akademischer Arbeit selbst, die insbesondere in der Lehrbeziehung, aber auch in kollegialen Arbeitsbeziehungen bedeutsam werde. Sie zeigen die Auslagerung akademischer Sorgearbeit aus der Lehrbeziehung und deren Eingliederung in verwalteter Form durch Beratung- und Selbsthilfeangebote an anderer Stelle auf. Es liege an den Individuen selbst, Belastungen zu bewältigen.

Das Individuum steht somit letztlich selbst vor der Frage, wie es mit vermessenden Verfahren umgehen soll: Es bewegt sich im Spannungsfeld zwischen bewusster Aneignung und aktivem Widerstand, wie die Texte des Sammelbandes deutlich machen.

Fazit

Die Lektüre schärft den Blick auf Machtverhältnisse an der Universität und hat uns als Studentinnen neue Perspektiven eröffnet. Wir denken, dass ein selbstbestimmtes Gestalten der Wissensproduktion an Universitäten deren kritische Selbstreflexion voraussetzt, und sehen darin eine Stärke des Buches. Der Sammelband vereint selbstkritische und differenzierte Blickwinkel auf die eigene Praxis. Uns haben insbesondere die Stellen beeindruckt, in denen sich mit der Frage auseinandergesetzt wird, wie mit der Vermessung an der Universität umgegangen werden kann und welche Handlungsansätze sich daraus ableiten lassen. Wir sehen uns darin bestärkt, dass solidarisches Verhalten ein zentraler Handlungsansatz an der unternehmerischen Hochschule sein muss. In einer Universität, die Konkurrenz, Wettbewerbslogiken und Individualisierung fördert, muss Solidarität als widerständige Praxis begriffen werden. Jedoch gilt es kritisch zu reflektieren, inwiefern solidarisches Verhalten unbezahlte, ungesehene und zusätzliche Sorgearbeit darstellt. Deutlich wird im Buch herausgearbeitet, dass das Sich-Kümmern ein essenzieller Bestandteil von akademischer Arbeit ist, die eben auch Zeit und Ressourcen benötigt und die im zeitgenössischen universitären Kontext weder vergütet noch anerkannt wird. Deshalb ist solidarisches Verhalten allein nicht genug. Es gilt auch, Solidarität als Arbeit sichtbar zu machen. Das heißt auch, sich kollektiv für Arbeitsbedingungen einzusetzen, in denen Sorgearbeit als wichtige Arbeit gesehen wird und dementsprechend auch entlohnt und wertgeschätzt wird.

Die Ambivalenz der managerialen Universität, die im Buch beschrieben wird, erleben wir auch als Studierende. Wir wünschen uns einerseits eine Universität, in der Menschen lernen und forschen können und damit ihre Umwelt reflektieren und entwickeln. Regelstudienzeiten, rigide Prüfungsordnungen und befristete Arbeitsverträge erschweren dies. Zeit scheint uns eine zentrale Ressource zu sein. Andererseits sehen wir beispielsweise im Outsourcing von Sorgearbeit, die im Beitrag von Briken, Blättel-Mink, Rau und Siegel kritisch diskutiert wird, auch Vorteile. In der psychologischen Studienberatung haben Studierende die Möglichkeit, mit ihren Anliegen zu Personen zu gehen, die nicht als Lehrpersonen in Benotungsprozesse eingebunden sind. Darüber hinaus handelt es sich um Ansprechpersonen mit professioneller Ausbildung, z.B. Psycholog*innen. Auch Lehrevaluationen als eine Ausprägung der managerialen Universität bringen für uns Studierende Vorteile. Sie können ein institutionalisiertes Mittel für Feedbackmöglichkeiten darstellen und Studierenden eine Plattform bieten.

Die Lektüre schärft den Blick auf die Logiken und Vorgänge von Hochschule und Wissenschaft. Im Sinne einer kritischen Reflexion des eigenen Arbeitens würden wir die Lektüre anderen Studierenden – besonders jenen, die eine berufliche Perspektive an der Hochschule erwägen – empfehlen, genauso wie bereits im Hochschulkontext tätigen Personen.