Open Gender Journal (2023) | Rubrik: querelles-net: Rezensionen

Nachkriegsfeminismus in der sowjetischen Besatzungszone

Rezension von Theresa Wobbe


Rezensionen zu Grit Bühler: Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und seine Gründerinnen (1945–1949).
Frankfurt am Main: Campus 2022
525 Seiten, ISBN: 978-3-593-51602-8, 49,00 €


Abstract

Grit Bühler fokussiert in ihrer Studie über den Demokratischen Frauenbund Deutschland (DFD), der lange als staatsloyale Organisation der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) galt, die ersten feministischen Jahre und die Schlüsselfiguren, die in den Frauenausschüssen den Aufbruch stimulierten. Leitend ist geschlechter- und politikgeschichtlich die These des Nachkriegsfeminismus, wie sie in der Erforschung der Frauenausschüsse auch für die westlichen Besatzungszonen nach 1945 bekannt ist. Bühler beleuchtet, wie die Protagonistinnen unterschiedliche frauenpolitische Positionen als ‚schwesterliche Verbundenheit‘ in der Sowjetischen Besatzungszone zusammenbrachten, und die zunehmenden Interventionen der SED. Dabei wird erstmals die Anfangszeit des DFD als Teil der Geschichte der Frauenbewegung und des Feminismus in den Vordergrund gerückt.

Schlagworte: Demokratischer Frauenbund Deutschland, DDR, Frauenausschüsse, Nachkriegsfeminismus

Zitationsvorschlag: Wobbe, Theresa (2023): Nachkriegsfeminismus in der sowjetischen Besatzungszone. Rezension zu Grit Bühler (2022): Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und seine Gründerinnen (1945–1949). In: Open Gender Journal 7. doi: 10.17169/ogj.2023.242.

Copyright: Theresa Wobbe. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

DOI: https://doi.org/10.17169/ogj.2023.242

Veröffentlicht am: 07.06.2023

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Thematik und Fragestellung

Beim Lesen von Grit Bühlers Studie stellt sich rasch die Frage ein, warum erst jetzt eine Untersuchung vorliegt, die den Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) in den Kontext der Nachkriegsgeschichte stellt und zum Ausgangspunkt der Geschichte der Frauenbewegung im (Nachkriegs-)Deutschland macht. Doch zunächst zur Studie. Mit „Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst“ zielt Bühler darauf, die Gründung und Etablierung des DFD (1945–1949) als bedeutenden historischen Moment „auf die Bühne der deutschen Frauenbewegungsgeschichte, der Zeitgeschichte und der Geschichte sozialer Bewegungen“ (S. 15) zu bringen. Nach der Einleitung werden in den zwei Hauptteilen des Buchs die Gründungs- und die Etablierungsphase (1947–1949) des DFD behandelt. Die Studie wird mit einer Schlussbetrachtung abgeschlossen, gefolgt von einem umfangreichen und aussagekräftigen Anhang, der für die künftige Forschung interessante Anregungen enthält.

Bühler rückt mit diesem Buch – das auf ihrer geschichtswissenschaftlichen Dissertation an der Universität Erfurt beruht – den bislang eher als Randerscheinung behandelten Feminismus der Anfangsjahre des DFD in den Mittelpunkt. Die kurze, gleichwohl folgenreiche feministische Aufbruchszeit soll in die DFD- und DDR-Historiographie und in die gesamtdeutsche Erinnerungskultur eingetragen werden. Durch diese Perspektivierung unterscheidet Bühler ihre Studie einerseits von Auffassungen, der DFD sei lediglich ein Transmissionsriemen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) gewesen, andererseits von jüngeren Untersuchungen zur Frauenbewegungsgeschichte, die den DFD zwar behandeln, ohne aber die Anfangsjahre zum Ausgangspunkt der Forschung zu machen (vgl. S. 19–35).

Aus politik- und geschlechtergeschichtlicher Sicht liegt der Fokus auf acht Protagonistinnen, ihren Motiven und Interessen, d.h. darauf, wie und mit welchen Folgen sie ihre Ziele umsetzten und welches Profil des DFD dabei zu erkennen ist. Diese Fragestellung wird methodologisch durch einen biografiegeschichtlichen Zugriff umgesetzt, der einen Blick auf die Binnenwelt des entstehenden DFD gewährt und damit die bislang in der Forschung weitgehend unbeachteten politischen Protagonistinnen der Initialphase sichtbar macht. Bühler erzählt keine Glanzgeschichte feministischer Lichtgestalten. Vielmehr werden die Brüche und Kontinuitäten in der Frauenbewegung, ihre internen Konflikte, die Auseinandersetzungen mit der SED die den Feminismus abdrängte, und die politische Großwetterlage des aufziehenden Ost-West- Konflikts herausgestellt, ohne die die frauenpolitische Dynamik nach 1945, ihre zunehmende Kontrolle und Marginalisierung durch die Partei nicht zu verstehen wären. Hiermit nimmt die Autorin einen interessanten Perspektivwechsel auf die Frauenbewegung nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) vor, der neue Einblicke in die politische Dynamik der Anfangsjahre der Organisation bietet.

Schwesterlicher Aufbruch der Frauenausschüsse

Argumentationsleitend sind die auf Renate Genth und Ingrid Schmidt-Harzbach (1996) zurückgehenden Überlegungen zur Frauenbewegung nach 1945, die Bühler für ihre These des ‚Nachkriegsfeminismus‘ der DFD-Gründerinnen spezifiziert. Auf diesem Hintergrund entwickelt sie ihr Untersuchungskonzept vom DFD als Nachkriegsfrauenbewegung und Feminismus. Bereits im Juni 1945 entstanden die ersten Frauenausschüsse in der SBZ. Sie waren wie auch die 1946 in West-Berlin und allen Besatzungszonen entstehenden Frauenausschüsse durch die eigenen politischen Initiativen von Frauen bestimmt. Als sogenannte Trümmerfrauen bewerkstelligten sie weitgehend den (Wieder-)Aufbau Berlins und anderer Städte in Ost- und Westdeutschland. Dabei handelten sie pragmatisch und kreativ, als sie frauenpolitisch das Alltagsleben wieder herzustellen versuchten. Die Zusammenschlüsse zielten ebenso auf die Bewältigung der alltäglichen Herausforderungen, wie sie gesellschaftlich die Gleichberechtigung in den sozialen Feldern Beruf, Bildung, Ehe, Politik und Recht sowie die Beseitigung patriarchaler Vorrechte verfolgten. Die praktische Sozialarbeit reichte vom Aufbau der Nähstuben und Wärmehallen bis zu Frauenberatungsstellen mit Ehe- und Sorgerechts- bis zu Abtreibungsfragen. Das traditionelle Politikverständnis „erschien obsolet“ (S. 52). Dies kam auch in dem überkonfessionellen und -parteilichen Charakter der Frauenausschüsse zum Ausdruck. In der SBZ trieben diese Initiativen zügig größere Vereins- und Verbandszusammenschlüsse voran, den „Zentralen Frauenausschuss“ (ZfA) 1946 in Ostberlin sowie eine einheitliche politische Frauenorganisationen für Gesamtdeutschland.

Internationale Orientierungen des DFD

Die Protagonistinnen gingen in den ersten Jahren oftmals ohne Absprachen mit der SED vor. Statt am sowjetischen Vorbild der bei der Partei angesiedelten Frauenorganisation orientierten sie sich beispielsweise an der Union des Femmes de France (UFF). Aus dem Widerstand der Résistance hervorgegangen, konstituierte sich die UFF ähnlich wie die Frauenausschüsse kommunal an der Basis in überparteilichen Frauengruppen, die umfassende politische Forderungen vertraten. Einige der Hauptakteurinnen des DFD wie die Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) Maria Rentmeister und Emmy Damerius-Koenen, die in Frankreich in der Emigration gewesen waren, unterhielten direkte persönliche Verbindungen zu Protagonistinnen der UFF. Nach dem ersten Jahr der Frauenausschüsse zog Rentmeister im Juni 1946 ein Fazit des Erfolgs: „Alle öffentlichen Angelegenheiten sind unsere Angelegenheiten geworden.“ (S. 79). Doch bereits zu dieser Zeit setzte die SED-Führung ‚diskret‘ eine Gründungskommission ein, um die eigenständig und eigenmächtig gebündelten Aktivitäten der Frauenausschüsse in sichere Parteibahnen zu steuern. Später, im Dezember 1946, wurde von den Frauenausschüssen öffentlichkeitswirksam das Gründungskomitee des DFD gebildet. Bühler setzt sich eingehend mit diesen beiden bottom-up- und top-down-Initiativen auseinander und nimmt damit eine Neujustierung vor, die die Gründung des DFD erstmals systematisch in den frauenpolitischen Rahmen der Frauenausschüsse stellt (vgl. S. 145ff.).

Konsolidierung und Abdrängung

Im dritten Teil stehen die Etablierung und Konsolidierung des DFD im Mittelpunkt. Dieser konfliktgeladene und höchst widersprüchliche Zeitraum zwischen 1947 und 1949 war zum einen durch die Etablierung des DFD mit dem Fokus auf Schwesterlichkeit, feministische Ansprüche, Einrichtung von Referaten und die Kooperation mit der Internationalen Demokratischen Frauenföderation geprägt. Im Zuge der Organisationsbildung erhielt die Überparteilichkeit Risse, während ost-westliche Bruchlinien an Bedeutung gewannen. Zugleich entstanden die wichtigen Referate zu Bildung, Gesundheit und Recht. So gab die Rechtskommission wichtige Impulse für die gleichberechtigungspolitische Ausrichtung der Verfassung der DDR. Diese Protagonistinnen können somit ebenso als 'Mütter der Gleichberechtigung' angesehen werden wie Elisabeth Selbert und ihre Mitstreiterinnen für die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Diese Zeit war zum anderen durch schärfere Eingriffe der SED charakterisiert, wie sie in Ulbrichts ‚Verkündigung‘ der Bildung von Frauenlisten – aus den Frauenausschüssen heraus – für die ersten Gemeinde- und Landtagswahlen manifest werden (vgl. S. 199–209). Dieser offensichtliche Instrumentalisierungsversuch der Frauenausschüsse zur Mobilisierung von fehlenden SED-Stimmen unter Frauen enthielt Züge stalinistischer Parteidisziplinierung. Zugleich trug er zur weitgehenden Skepsis der parteilosen Frauen und der Frauen anderer Parteien bei.

1948 wurden die frauenpolitischen Positionen exponierter Feministinnen der KPD wie Damerius-Koenen und Rentmeister an den Rand gedrängt und deren politische Karrieren unterbrochen. Wie Bühler aufzeigt, koinzidierten die Manöver mit der seit 1948 anlaufenden parteiinternen Säuberungsaktion von Parteimitgliedern, ehemaligen sozialdemokratischen Frauen und Männern und denen aus der Westemigration. Diese verheerenden Denunziationen, Eingriffe und Ausschlüsse, die bis in die frühen 1950er Jahre andauerten, lassen sich in den breiteren Rahmen stellen, den Norbert Frei (1995) als „Elitenaustausch“ bezeichnet (26). Sie lassen sich ebenfalls auf die Überwachung, Drangsalierung und Verfolgung von eigenständigen Initiativen, die nicht der Partei angehörten, beziehen. Wie Ines Geipel und Joachim Walther (2015) aus Stasi-Unterlagen rekonstruieren, wurden etwa die jungen Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Gruppe 47 Ost, die nach 1945 einen Neubeginn in der Literatur erprobten, seit 1948 abgedrängt, verfolgt und teilweise zu Zuchthausstrafen verurteilt.

Bühler bietet mit ihrer Untersuchung denjenigen eine Fülle an Thesen, Quellenfunden und Diskussionsstoff, die sich mit der Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, insbesondere mit dem Nachkriegsfeminismus in Ost und West beschäftigen. Ihre Ergebnisse eröffnen Möglichkeitsräume, um die ost- und westdeutschen Frauenausschüsse in einem gemeinsamen Feld frauenpolitischer Fragen aufeinander zu beziehen, und zwar in einer systematischen Perspektive, aus der weder der einen noch der anderen Seite zum Fortschritt gratuliert wird.

Doch schwer nachvollziehbar ist, inwieweit die Resultate rund um den § 218 „als überprüfbares Kriterium einer erfolgreichen feministischen Politik gelten“ (S. 284) können. Es wäre interessant gewesen, die Praxis und Wirksamkeit der DFD-Rechtskommission einer differenzierteren Analyse, vor allem in Bezug auf den § 218 und die Verfassungsvorbereitung, zu unterziehen. Aber worin würden die (überprüfbaren) Kriterien liegen? Welche Bezüge zur nationalsozialistischen Geburtenpolitik wurden geschaffen? Galt die NS-Gesetzgebung zur Abtreibung unter Todes- und Gefängnisstrafe (vgl. S. 282) tatsächlich für alle Frauen? Aus der Untersuchung von Gisela Bock (1986) zur „Zwangssterilisation im Nationalsozialismus“ geht hervor, dass jüdische Frauen und ‚minderwertige‘ sowie ‚unerwünschte‘ Frauen gegen ihren Willen zwangssterilisiert wurden; Zwangsarbeiterinnen aus Polen und der Sowjetunion wurden zur Abtreibung gezwungen. Ohne die Auseinandersetzung mit dem Pro- und Antinatalismus der nationalsozialistischen Geburten- und Frauenpolitik scheint es schwierig, Kriterien für eine erfolgreiche feministische Politik in diesem Kontext anzulegen.

Eines der großen Verdienste des Buchs ist es, dass die Brüche und Konfliktlinien mit der SED deutlich herausgestellt werden. Dabei ist allerdings noch unscharf geblieben, wie die Protagonistinnen den ‚Spagat‘ zwischen Frauenbewegung und Partei bewerkstelligten. Inwieweit lancierten sie feministische Politik durch die Drehtür ins Parteibüro, oder inwieweit ‚milderten‘ sie die doktrinären Ansprüche der Partei in den Frauenausschüssen ab? Diese Fragen schmälern keineswegs den Vorzug der Studie, die Spannungen zwischen Parteidoktrin und Nachkriegsfeminismus erstmals sichtbar zu machen.

Bühler räumt in ihrer Untersuchung damit auf, den frühen DFD als ein Derivat der SED zu platzieren. Wie sie zeigt, ging der Entstehungsprozess des DFD auf frauenbewegte Akteurinnen zurück, die nach 1945, von der feministischen Vision inspiriert, eigenmächtig handelten und frauenpolitische Ziele in die Öffentlichkeit trugen. Hierfür schöpft die Autorin einen breiten und bemerkenswerten Quellenkorpus aus. Neben verschiedenen Archiv- sowie Organisationsbeständen nutzt sie die Nachlässe der Protagonistinnen, wobei der von Rentmeister einen Angelpunkt bildet. Außerdem verwendet Bühler die Digitalisate der Central Intelligence Agency (CIA). Sie traktiert ihr Material souverän, bündelt es systematisch und verfolgt argumentativ durchgehend die Frage nach den frauenpolitischen Motiven und Effekten, während die soziale Bewegung etwas unterbelichtet bleibt. Künftige Untersuchungen der deutschen Frauenbewegung werden sich mit ihrer Neujustierung des frauenpolitischen und feministischen Aufbruchs der Nachkriegszeit auseinandersetzen müssen.

Durch die Studie werden frische Forschungsfragen stimuliert, wie die nach Kontinuitäten und Brüchen der deutschen Frauenbewegung seit dem späten 19. Jahrhundert bis in die Nachkriegszeit. Könnte es sein, dass unterschiedliche und partiell diametral entgegengesetzte frauenpolitische Auffassungen bis 1945 wirksam waren, deren Entstehungszusammenhang um 1900 liegt? Und dass frauenpolitische Positionen, (frauen-)politische Kulturen und Milieus, die sich im Kontext des 1. Weltkriegs und der Weimarer Republik herausbildeten, während des Nationalsozialismus in neuer Härte aufeinanderstießen und nach 1945 in verschärften politischen Abgrenzungen manifest wurden? Grit Bühler legt mit ihrer Ausgrabung einiger Schichten des ostdeutschen Nachkriegsfeminismus diese Fragen nahe. Interessanterweise lässt sich von hier aus vermutlich ‚nach hinten‘ in die Anfänge des 20. Jahrhunderts und ‚nach vorn’ in die Zeitgeschichte vermeintlich Bekanntes anders beobachten.

Literatur

Bock, Gisela (1986): Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik (Schriften des Zentralinstituts für Sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Frei, Norbert (1995): NS-Vergangenheit unter Ulbricht und Adenauer. Gesichtspunkte einer „vergleichenden Bewältigungsforschung“. In: Danyel, Jürgen (Hg.): Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin: Akademie, 125–132.

Geipel, Ines/Walther, Joachim (2015): Gesperrte Ablage. Unterdrückte Literaturgeschichte in Ostdeutschland 1945–1989. Berlin: Lilienfeld.

Genth, Renate/Jäkl, Reingard/Pawlowski, Rita/Schmidt-Harzbach, Ingrid/Stoehr, Irene (1996): Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945–1949. Berlin: trafo.