Open Gender Journal (2025) | Rubrik: querelles-net: Rezensionen

Wie die Welt der Dinge ein patriarchales System bildet

Rezension von Andrea Günter


Rezension zu Tina Hartmann und Elena Köstner (Hg.) (2024): Patrix. Patriarchale Systematik und ihre Verdinglichung.
Bielefeld: transcript.
316 Seiten, ISBN: 978-3-8376-7131-5, 40,00 €


Abstract

Das Paradigma „Patriarchat der Dinge“ stellt eine neue Analysemöglichkeit der Wirksamkeit von Geschlechterstereotypisierungen vor. Der Sammelband „Patrix. Patriarchale Systematik und ihre Verdinglichung“, herausgegeben von Tina Hartmann und Elena Köster, greift dieses Verfahren auf. Am Beispiel unterschiedlicher Gegenstände wie Übersetzungen, Schulbücher oder Online-Literatur wird die Materialisierung der Stereotypierungen von Manner- und Frauenkörpern in dem Design von Dingen nachvollzogen. Der Sinn dafür wird geschärft, dass Design immer politisch und ein Komplize von Diskriminierungen ist. Es wird außerdem verdeutlicht, dass die Diskrepanzerfahrungen von Frauen gegenüber einer Materialisierung des idealisierten Männlichen deren patriarchalen Charakter sowie das Scheitern seines allumfassenden Wirksamkeitsanspruchs belegt.

Schlagworte: Androzentrismus, Geschlechterstereotype, Lebensbedingungen, Normen, Patriarchat

Zitationsvorschlag: Günter, Andrea (2025): Patrix. Patriarchale Systematik und ihre Verdinglichung. Rezension zu Tina Hartmann und Elena Köstner (Hg.) (2024): Patrix. Patriarchale Systematik und ihre Verdinglichung. In: Open Gender Journal (2025). doi: 10.17169/ogj.2025.371.

Copyright: Andrea Günter. Dieser Artikel ist lizensiert unter den Bedingungen der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

DOI: http://doi.org/10.17169/ogj.2025.371

Eingereicht am: 11. April 2025

Angenommen am: 16. April 2025

Veröffentlicht am: 06. Mai 2025

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Rebekka Endler hat mit ihrem Buch „Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt“ (2021) ein neues Paradigma für den feministischen Diskurs entfaltet, in dem sie die Materialisierung des Androzentrismus in den Dingen, Strukturen und Designs von Gesellschaften und Welt in den Blick nimmt. Der (idealisierte) Körper des (cis-)Mannes wurde nicht einfach bloß zum Maß dafür erhoben, den Frauenkörper ideell zu definieren und zu bewerten. Vielmehr wurde aus der aristotelischen Bewertungsweise des Frauenkörpers im Laufe der Jahrtausende regelrecht eine Praxis dafür, männerorientierte Gegenstände zu kreieren, um die Welt einzurichten.

Das Paradigma „Patriarchat der Dinge“ greifen die Herausgeberinnen des Sammelbands „Patrix. Patriarchale Systematik und ihre Dinge“ Tina Hartmann und Elena Köstner auf. Denn dieses kann, folgt man Engler, eine neue Methodologie abgeben, die es erlaubt zu analysieren, wie die androzentrische Gestaltung von Dingen zu einem „System der Dinge“ (Baudrillard 1991) wird, durch welches die Lebensbedingungen von Menschen in der Welt gestaltet, vereindeutigt und auch kontrolliert werden. Dinge organisieren also auch die Lebensbedingungen von Frauen und von all denjenigen, die nicht der Vorgabe „Mann“ als Maßstab der Dinge der Welt entsprechen, und dies negativ, angefangen mit den Erfahrungen von Unannehmlichkeiten bis hin zur Gesundheits- und Lebensgefährdung. Endler arbeitet eindrücklich entlang vieler unterschiedlicher Sphären des Lebens heraus, wie die Misogynie, die in der Etablierung des Maßstabs „Mann“ steckt (Frauen können weniger, schlechter, …), in den Dingen materialisiert wird. Ein hermeneutischer Zirkel wird aufgedeckt, der verdeutlicht, dass es an der falschen Maßgabe „Mann“ liegt, dass Frauen ihre Möglichkeiten schlechter entwickeln und weniger Leistung erbringen können, was dann wiederum auf ihr Frausein und nicht auf die Gestaltung der Dinge zurückgeführt wird.

An diese methodische Sichtweise verspricht der Sammelband „Patrix“ anzuschließen. Elf Autorinnen und ein Autor, vorwiegend von der Universität Bamberg (das Buch ist ein Hochschulprojekt), begeben sich auf die Suche nach dem Patriarchat der Dinge und nach androzentrischen Strukturen in ihren jeweiligen Forschungsbereichen: etwa in der Auseinandersetzung mit antiken Konzepten und mit dem Einfluss von Gender-Stereotypisierungen auf Übersetzungen (Elena Köstner), in der Wahrnehmung von Frauen im bewaffneten Einsatz im spanischen Bürgerkrieg (Christin Hansen), in Horrorfilmen (Veronika Rudolf) oder in den Erfahrungen von Wissenschaftlerinnen mit der Einrichtung Hochschulkarriere, wie sie in Coachingprozessen zur Sprache kommen (Meike Lauggas). Ein abschließender Beitrag weist auf, wie langsam sich das Bewusstsein „Design ist immer politisch und ein Komplize von Diskriminierungen“ in den Selbstverständigungen des Kulturbereichs Designs etabliert (Anna Unterstab).

Patriarchale Dinge scheitern vielfältig

Der Titel des Buches erweckt die Erwartung, dass in einem solchen Sammelband auch methodisch gearbeitet wird und die Anschlüsse an das Paradigma „das patriarchale System der Dinge“ präzisiert und vertieft werden. Leider wird dieser Weg nur von wenigen Autorinnen eingeschlagen, nur wenige benennen überhaupt den paradigmatischen Zusammenhang ihrer Ausführungen mit dem Patriarchat der Dinge. Das ist sehr bedauerlich, die Methodologie des Ding-Diskurses wird damit nicht geschärft, sondern immer wieder verwässert.

Aufschlussreich ist die Analyse des Gegenstands „Schulbuch“ von Christiana Lentz und Heike Wolters. Das Schulbuch wird in seiner Relevanz als ein Mediengegenstand vorgestellt, der nicht nur eine Vermittlungsinstanz von Wissen ist, sondern auch als ein Ding Elemente des Unterrichts strukturiert. Seine repräsentierende, obendrein bildhafte Materialität wird als ein Komplex thematisiert. Es wird begreifbar, in welchen Dimensionen das Ding Schulbuch patriarchale Strukturen zum Ausdruck bringt. Die historische Entwicklung von Schulbüchern stellt immer eine Reaktion auf die Ansprüche in ihrer Entstehungszeit und in ihrem Entstehungskontext (die Entwicklung von norwegischen und bayrischen Schulbüchern wird verglichen) dar. Dies zu analysieren lässt rekonstruieren, wie patriarchale Inhalte sogar erst durch das Verfassen eines Schulbuchs erzeugt, verstärkt und vor allem verbreitet werden, oder aber wie schwierig es ist, diese entlang von feministischen Kriterien zu entpatriarchalisieren.

Dass sogar ein patriarchales Ding nicht einfach auf Patriarchalität reduziert werden kann, differenziert Xin Li in ihrem Beitrag über populäre chinesische, japanische und thailändische LGBTQ-Online-Literatur. Die Literaturwissenschaftlerin dokumentiert die Differenz zwischen dem Dargestellten, das oftmals den klassischen Geschlechterstereotypen (männlich = aktiv, weiblich = passiv; usw.) folgt, und den sich unterscheidenden Veränderungsimpulsen für die politisch divergenten Länder. Das Ding „Darstellung“ wird in diesem Fall als einerseits hetero-patriarchal und gewaltverherrlichend bewertbar, andererseits bietet es ungewollte Transformationsmöglichkeiten inmitten der chaotischen „messy world“ (219) der Gender- und Geschlechterpolitik. Gerade weil sie fehlerhaft konzipieren und widersprüchlich sind, lassen sich solche Dinge für die Entwicklung von kritischen Sichtweisen engagieren, betont die Autorin.

Hierin scheint eine produktive Haltung gegenüber dem „Patriarchat der Dinge“ auf, gerade auch deshalb, weil es im Bereich des Möglichen nicht das Eine, Einzige und für alle Richtige geben wird. Denn der Patrix gegenüber gilt es hervorzuheben, dass es sich um ein Gebilde handelt, das gerade nicht passt. Dies bezeugen die Diskrepanzerfahrungen von Frauen gegenüber einer Materialisierung des idealisierten Männlichen ebenso wie gegenüber (von Männern) idealisierten Dingen, und das wird auch durch das Scheitern ihres allumfassenden Wirksamkeitsanspruchs belegt. Eine Patrix sollte nicht mit der Realität identifiziert werden. Sie bildet einen Teil von dieser, manchmal mehr, manchmal weniger.

Dem Patriachat der Dinge präzise historische Frauen- und Geschlechterforschung entgegenzuhalten, hilft, die Grenzen seiner Passgenauigkeit aufzuzeigen und zugleich daran zu erinnern, dass es keine Patrix gibt, die total ist.

Das Patriachat der Dinge wirkt also und wirkt nicht. Wie wird darum zum Beispiel mit Leerstellen im Wissen über Geschlechterverhältnisse umgegangen? Sie dürfen auch von feministischer Seite nicht mit patriarchalen Stereotypisierungen zugedeckt werden, wie in Köstners Beitrag über patriarchale Übersetzungen deutlich wird. Bleibt etwa unklar, was eine antike weibliche Figur bedeutet, muss diese Unklarheit vermittelt werden; sie darf nicht mit einem später gebildeten Frauenklischee erklärt werden. In diesem Sinne würde es sich lohnen, noch einmal beide Bücher durchzugehen, nach Diskrepanzen, Widersprüchen und/oder Leerstellen zwischen patriarchalen Idealisierungen, entsprechend materialisierten Dingen und deren Gebrauchswert im Alltag zu suchen. Das Paradigma „Patriarchat der Dinge“ kann genutzt werden, um einen Diskurs über die Wirksamkeit patriarchaler Ideen und Strukturen zu beginnen, ohne diese zu verharmlosen, und zugleich das Leben von Frauen zu würdigen, indem dieses nicht auf „das Patriarchat“ und die Organisation durch patriarchale Dinge reduziert wird. Wer sich für diesen Forschungszusammenhang sensibilisieren und weiterarbeiten möchte, kann in dem vorgestellten Sammelband auf unterschiedliche Weise wichtige Anregungen bekommen.

Literatur

Baudrillard, Jean (1991): Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt am Main, New York: Campus.

Endler, Rebekka (2021): Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt. Köln: DuMont.