Die Pflichtlektüre für das Zentralabitur Deutsch – ein "Kanon der Defizite"?
DOI:
https://doi.org/10.17169/ogj.2025.331Schlagworte:
Identität, Literatur, Schule, Unterricht, GeschlechterverhältnisAbstract
Der Artikel „Die Pflichtlektüre für das Zentralabitur Deutsch – ein ‚Kanon der Defizite‘?“ untersucht die Repräsentation von Autorinnen und die Berücksichtigung von Geschlechterfragen im schulischen Deutschunterricht, insbesondere in Bezug auf die für das Zentralabitur vorgeschriebene Lektüre. Die Untersuchung basiert auf einer Analyse der Bildungspläne mehrerer Bundesländer und zeigt auf, dass ein „Kanon der Defizite“ existiert, in dem die epischen und dramatischen Werke männlicher Autoren deutlich dominieren, während insbesondere Dramen von Frauen marginalisiert werden. Um zu prüfen, ob der Ausschluss von Autorinnen gerechtfertigt ist, beleuchtet der Artikel anschließend kritisch drei der Hauptkriterien zur Auswahl der Standardlektüren: literarische Qualität, Eignung für den Unterricht und Vergleichbarkeit. Die Ergebnisse zeigen, dass die Unterrepräsentation von Autorinnen nicht nur literaturwissenschaftlich und literaturdidaktisch ungerechtfertigt ist, sondern auch, dass ihr Ausschluss aus dem schulischen Lektürekanon das kulturelle Gedächtnis beeinflusst und die Identitätsbildung der Schüler*innen prägt. Der Artikel plädiert daher für eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Kanon, um den Bildungsauftrag des Literaturunterrichts vollständig erfüllen zu können.
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